Auszug aus der umfangreichen Geschichte zum Standort des ehem. neuen Schweineschlachthofes St. Marx – dem heutigen Kulturzentrum "Arena"
Donau Auen – Donauregulierung
Die Donau erhält den größten Teil ihrer Zuflüsse aus den Alpen und weist daher stark schwankende Wasserstände auf. Im Wiener Becken bildete sie ein ganzes Netz wechselnder Wasserarme aus. Weitreichende Überflutungen bei Eisgängen und Hochwässern bedrohten wiederholt die Stadt und behinderten vorübergehend ihre Entwicklung. Bereits um 1800 konnten durch einen Donaukanaldurchstich einige Gebiete in Erdberg trockengelegt und parzelliert werden.1
Quelle: Stadt Wien – Vienna GIS, www.wien.gv.at/viennagis/
Links: 1780: vor der Donauregulierung – Rechts: 1875: nach der Donauregulierung
Gebietsansiedelungen // Stadtteilentwicklung
Versorgungsbetriebe mit gegenseitig ergänzenden Bedürfnissen und Angeboten siedelten sich in Erdberg an wie zb. Wasenmeister (Tierkörperverwertung), Leimsieder und Weißgerber.
In St. Marx und Simmering wurden die Gebiete entlang einer alten Römerstraße und wichtigen Handels- und Verkehrsroute (St. Marxer Linie, heutiger Rennweg und Simmeringer Hauptstraße) durch Viehstände, einen Schweinemarkt beim Bürgerspital, eine Kaserne, eine Bahnstation, eine Teerfabrik, eine Waggonfabrik, eine verlegte Tierkörperverwertung, Gas- und E-Werk, Schlachthäuser, Fleichselcher, Seuchenhöfe, später Kühlhallen und eine Wurstfabrik erschlossen.

1920-25 war er als Stadtbaudirektor tätig und baute zahlreiche Schulhäuser und Kindergärten, Schweinemastanstalten, Kühlhallen, Schlacht- und Seuchenhöfe, Straßen, Kanäle, erweiterte die Hochquellenwasserleitung. Übriggebliebene Gasbeleuchtung wurde durch elektrische Lampen modernisiert. Ebenso war er an Bauprogrammen zur Schaffung von Kleinwohnungen beteiligt.2
Ab April 19083 (Auftragserteilung 19054) wurde an der Ecke Baumgasse und geplantem Landstraßer Gürtel (heutiger Franzosengraben) auf einer Grundfläche von 15.865 m² an einer Schweineausladerampe der Schlachthausbahn der neue Schweineschlachthof mit einer Fläche von 8.289 m²5 für 1500 Schweine in Warte- und Stechbuchten6 errichtet.
Das Terrain musste bedeutend aufgeschüttet werden; die wichtigsten Gebäude waren aber schnell errichtet.7 Urspünglich war der Seuchenhof an dieser Stelle geplant, denn es existierten zahlreiche Seuchen unter den Haus- bzw. Nutztieren.8

Am 02. Jänner 1910 wurden schließlich die ersten Schweine eingetrieben9 und am 20. Juni 1910 eröffnet.

Der Betrieb des Schweineschlachthauses ersetzte damit die sonst üblichen Schweineschlachtungen an der Notstechbrücke in St. Marx und in den Rinderschlachthöfen.10
Neues Schweineschlachthaus statt alter Notstechbrücke St. Marx

„Hart an der Donau standen die öffentlichen Schlagbrücken der Fleischhauer. Man brachte dieselben in dieser Entfernung von der Stadt an, nicht nur um die Luft in den nächsten Umgebungen der Stadt rein zu halten, und die Gefahren, welche den Menschen bey Tödtung des Schlagviehes bevorstehen, zu entfernen, sondern auch um den Fleischhauern selbst mehr Bequemlichkeit zu verschaffen.“11


Die Gebäude und deren Einrichtungen
Die Kühlhalle (an Stelle der heutigen Open Air Wiese) bestand aus zwei Hallen, die durch eine Kohlensäure-Kühlmaschine mit Tandem-Heißmaschine (80 PS) als Antrieb gekühlt wurden. Das Kühlwasser, der Abdampf und das Kondensationswasser wurden dem Betrieb wieder zugeführt.

Im damaligen und heutigen Verwaltungsgebäude waren im Erdgeschoß Amtsräume und eine Aufseherwohnung und im Obergeschoß eine Wohnung für den Schlachthofleiter und einen Aufseher untergebracht.12
Der heutige Kleine-Hallen-Trakt war als Sterilisierungsanstalt erbaut wurden und unterteilte sich in Wasch-, Umkleide-, Koch, Desinfektions-, Zerteilungs- und Untersuchungsraum sowie eine Freibank mit Warte- und Verkaufsraum und eine Kanzlei.
In diesem Trakt wurde Fleisch, das seuchenverdächtig war, sterilisiert und günstig in der Freibank verkauft. Die Freibank war im Erweiterungsbau von 1926 eingerichtet worden. Bei diesem heutigen Kleine-Hallen-Konzertraum handelte es sich um einen Verkaufsraum, in dem minderwertiges tw. mit Bandwurmlarven besetztes Fleisch oder Fleisch von kranken oder verunfallten Tieren günstig verkauft wurde. Kranke Tiere dürfen und durften nicht in normalen Schlachthöfen geschlachtet werden; das Fleisch nicht in normalen Fleischereien verkauft werden.13
Ein- und Ausfahrt lag beiderseits eines Torwächterhäuschens (heute noch mit nur einer Einfahrt vorhanden)




Die Hallen und die diversen Räume wurden stetig umgebaut und erweitert; der Verkaufsstand an die südöstliche Einfriedungsmauer verlegt.


Im Trakt des heutigen Beisls waren Aufenthaltsräume für die Arbeiter: Gesellen, Gehilfen, Meister, Aufseher untergebracht.
Die importierten Schweine kamen hauptsächlich aus Ungarn und Bosnien und Herzegowina18 Jedoch konnte man Schweine selbst in den Schlachthof bringen und sie gegen Gebühr (90 Kronen für ein Schwein und 3 Tage Kühlhauslagerung) unterbringen, schlachten und in der Kühlhalle lagern.19



Kunsthistorische Kurzanalyse

Profaner Sichtziegelbau, erbaut im Landstraßer Stadtteil St. Marx in den Jahren 1908 – 191014 – am Höhepunkt der Bevölkerungsdichte15 Wiens – als Ausläufer der romantisch historistischen Industriebauten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Um- und Anbauten aus dem 20. Jahrhundert.

Die heutige große Konzerthalle beherbergte das Kessel- und Maschinenhaus sowie Kohlendepots, Maschinistenraum und diverse Lagerräume.
Die Eingangsfront hat den sakralen Charakter einer Basilika – einer mehrschiffigen, profanen Halle, die schon in der altrömischen Baukunst als Markt-, Gerichts- und Versammlungshalle16 diente. Übernahme durch die Christen; im 19. Jahrhundert ist die basilikale Grundform der vorherrschende Kirchentypus17.
Am Blendgiebel befindet sich ein mit Ziegeln stilisiertes Zahnschnittfries und ein großes Rundfenster. In der Frieszone befindet sich das seltene und für die Arena typische dreifache, zu einer Blume versetzte Zahnfries. An der Westwand finden sich über zweigeschossigen Rundbogenfenstern die Original-Schriftzüge „Kesselhaus“ und „Maschinenhaus“.

Zum Verkauf des Auslandsschlachthofes und zum Ende der Schlachthöfe
Ab Mitte der 60er gingen die Lebendanlieferungen stark zurück, da mit dem „Fortschritt der Kühltransporttechnik“, „dem Ausbau der Verkehrslage“ und den ausgelagerten und billigeren „Produktionsgebieten“ nicht mitgehalten werden konnte. Ebenso gab es neue „Erkenntnisse“ und Vorschriften die „Lebensmittel- und Schlachthygiene“ betreffend, weswegen Mitte der 70er beide Schlachthöfe (damalige Auslands- und Inlandsschlachthöfe – Schweineschlachthaus am 21.6.7620) bereits geschlossen hatten und 1997 die Schlachtungen auch am Zentralviehmarkt beenden wurden.21
„Im Sinne von Betriebsansiedelungen oder Betriebsausweitungen wurden [zahlreiche] Liegenschaften im 3. und 10. Bezirk verkauft.22
Zur Besetzung im Sommer 1976
Die Besetzung des Kontumazmarktes/des damaligen Auslandsschlachthofes im Rahmen der Wiener Festwochen diente als Ausdruck der Unzufriedenheit mit der Kulturpolitik der Stadt Wien und zeigte den Mangel an alternativen Kultureinrichtungen auf.
In der kurzen Zeit der Auseinandersetzungen mit der Stadt Wien haben die Besetzer mit vereinten Kräften und Zielen erreicht, ein funktionierendes, alternatives und frei zugängliches Kulturzentrum aufzubauen. Zwar wurde der besetzte Schlachthof trotz Widerstand abgerissen, doch der gegenüberliegende, kleinere Schweineschlachthof wurde zur freien, alternativen, kulturellen Umnutzung angenommen.
<img class="alignnone wp-image-12307" src="https://www.schlot.at/wp-content/uploads/2017/12/wstla-3_3_11_fc2_56170_81_mai1956_presseundinformationsdienst80072.jpg" alt="Schrägluftaufnahmen von Wien" width="636" height="615" /> Luftbildaufnahme des Auslandsschlachthofes 1956, Links das besetzte Areal: der spätere Auslandsschlachthof, der Austragungsort der Festwochen-Arena, Rechts oben der ehem. Schweineschlachthof – die heutige Arena Quelle: WSTLA, Presse und Informationsdienst Bestand 3.3.11, FC2Positive ehemaliger Ordner, 56170.81Link zum Archivsystem: https://www.wien.gv.at/actaproweb2/benutzung/archive.xhtml?id=Stueck++0f7d1790-22eb-4b8b-8ea9-6e07bbde4a06VERA#Stueck__0f7d1790-22eb-4b8b-8ea9-6e07bbde4a06VERA
Nach dem Einzug der Bewegung in die "neue Arena" fanden anschließend im Juli 77 bis Juli 78 Umbauarbeiten statt.23 Danach begann das regelmäßige und bis heute konsequent geführte Veranstaltungsprogramm am heutigen Arena-Gelände.

Großer Umbau der großen Halle und des Open Air Geländes: 1994-2004 durch das Architekturbüro Rataplan24
Die Gebäude der heutigen Arena sind stark restaurierungsbedürftig, da sie seit 40 Jahren für die Allgemeinheit genutzt werden. Eine der Besonderheiten ist die auffallende Ziegelfriesgestaltung.
Auszug aus dem Bescheid des Bundesdenkmalamtes Wien laut § 2 des Denkmalschutzgesetzes, 1997 – GZ.: 29.276/3/1997
"Alle Gebäude weisen die charakteristische Industriefassadengestaltung aus dem Ende des 19. Jahrhunderts mit der typischen Sichtziegelarchitektur auf, wobei hier die über die Hauptgesimse bzw. Giebelgesimse noch gezogenen Zierelemente in äußerst selten gewordener Komplettheit anzutreffen sind."
“Die Gebäude des ehem. Schweineschlachthofes stellen mit ihren typischen und weitgehend vollständig erhaltenen Sichtziegelfassaden eine bereits selten gewordene Form dieser Industriebauweise aus dem Ende des 19. Jahrhunderts bzw. Anfang des 20. Jahrhunderts in Wien dar und sind daher architekturgeschichtlich von besonderer Bedeutung.”
“Der Schweineschlachthof dokumentiert als einer der letzten erhaltenen Reste der einstigen Vielzahl an historischen Viehmarkt- und Schlachthofbauten in St. Marx einen bedeutenden Bereich der Wirtschaftsgeschichte Wiens um die Jahrhundertwende.”

Die Arena Wien ist eines der europaweit bedeutenden Beispiele für die funktionierende kulturelle Umnutzung leerstehender Fabriksgebäude durch autonome Gruppen.
http://arena.wien/
Bibliografie
1 Festschrift, 100 Jahre Wiener Stadtbauamt, 1835-1935, Wien 1935, S. 126 f.
2 Festschrift 1935, S. 53
3 Stadt Wien, Die Gemeindeverwaltung der k-u-k- Reichhaupt- und Residenzstadt Wien im Jahre 1908 VVII., Bericht des Bürgermeisters Dr. Karl Lueger, Verlag Gerlach und Wiedling, Wien 1910, S.254 – im WSTLA
4 WSTLA, Inhaltsverzeichnis für das Amtsblatt der k.u.k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien, XIV. Jahrgang, Gesetze, Verordnungen und Entscheidungen, Nr. 51 am 28. Juni 1910, Wien 1905; S.1056, Protokoll 5420 und S. 1358 Protokoll 7591(tgl. 600 Schlachtungen)
5 Festschrift 1935, S. 179
6 Ebenda, S. 180
7 Stadt Wien, Die Gemeindeverwaltung der k-u-k- Reichhaupt- und Residenzstadt Wien im Jahre 1908 VVII., Bericht des Bürgermeisters Dr. Karl Lueger, Verlag Gerlach und Wiedling, Wien 1910, S.254 – im WSTLA
8 Stadt Wien, Die Gemeindeverwaltung der k-u-k- Reichhaupt- und Residenzstadt Wien im Jahre 1908 VVII., Bericht des Bürgermeisters Dr. Karl Lueger, Verlag Gerlach und Wiedling, Wien 1910, S.249 – im WSTLA
9 WSTLA, Marktamt B52 12, Geschäftsprotokolle 1907 und 1908, 39.1
10 WSTLA, Inhaltsverzeichnis für das Amtsblatt der k.u.k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien, XIX. Jahrgang, Gesetze, Verordnungen und Entscheidungen, Nr. 51 am 28. Juni 1910, Wien 1910; S.57, IV. Kundmachung
11 Geschichte der Vorstädte und Freygründe Wiens, 1812. S. 12
12 Festschrift, S. 180
13 Ebenda
14 Siehe Metallfahne auf dem Dach des Verwaltungsgebäudes. Eröffnung des Schlachhofes 1910. In: http://de.wikipedia.org/wiki/Schlachthof_Sankt_Marx und In: www.wien-vienna.at/index.php?ID=224
15 Bevölkerungsentwicklung lt. Statistik Austria, in: http://www.carookee.de/forum/Kleeblattforum.carookee.com/33/21583648-0-01105?p=1
16 E.A. Seemann, Seemanns Lexikon der Architektur,Leipzig, 2000, S. 31
17 Fritz Baumgart, Dumont’s kleines Sachlexikon der Architektur, Köln, 1997, S. 29 f.
18 WSTLA, Marktamt B52 12, Geschäftsprotokolle 1907 und 1908, 81.3
19 WSTLA, Marktamt, Zentralviehmarkt, Normalien, Kurrenden, Kundmachungen. A51-1, Normalien 1920, Nr 98, Beilage D, Gebühren für das Schweineschlachthaus der Stadt Wien und für die Benützung der Kühlanlage dieses Schlachthauses
20 Magistrat der Stadt Wien [Hrsg.], Die Verwaltung der Stadt Wien 1976, Wien 1977, S. 218
21 Magistratsabteilung 53, Archivmeldung der Rathauskorrespondenz vom 16.12.1997 – Letzte Rinderschlachtungen in St. Marx
22 Magistrat der Stadt Wien [Hrsg.], Die Verwaltung der Stadt Wien 1976, Wien 1977, S. 193
23 Verena Kövari, Die Arena, Alternativkultur im Wien der 1970er Jahre, Wien 1997, S. 78
24 http://www.rataplan.at/projekte.php?NAME=arena, am 09.12.2017